Das Geld frisst die Moral – Der Kurs „Darstellendes Spiel“ zeigt den „Besuch der alten Dame“

„Erst kommt das Fressen und dann die Moral!“, wusste schon Berthold Brecht und Friedrich Dürrenmatt hat diese so traurige wie wahre Weisheit allen Theaterfreunden noch einmal in seiner tragischen Komödie „Der Besuch der alten Dame“ vorgeführt. Das Stück wurde 1956 in Zürich aufgeführt. Diesen Zeithorizont haben die Schülerinnen und Schüler aus dem Kurs „Darstellendes Spiel“ in ihrer wohltuend unaufgeregten Inszenierung aufgegriffen und unter anderem ihre Kostümauswahl an den gegebenen Zeithorizont angepasst. So trugen die Bürgerinnen und Bürger schlichte schwarze Kleidung während die Hauptfiguren Ill und Claire, der Bürgermeister, der Lehrer, der Polizist sowie der Pfarrer entsprechend ihrer Rolle gekleidet gewesen sind. Auch das Bühnenbild passte sich in dieser Schüleraufführung den Vorgaben von Dürrenmatt an und war durch und durch schlicht gehalten. Umso mehr gehörte die Aufmerksamkeit der Zuschauer dem Plot sowie der Darstellung der Schauspielerinnen und Schauspieler.

Die alte Dame namens Claire (Indra Reinink) reist nach langen Jahren im Ausland in ihr vollkommen heruntergekommenes und verarmtes Heimatstädtchen Güllen zurück. Als sie als jungen Mädchen gegangen ist, war sie eine junge, schwangere Frau, die von dem Kindsvater Ill im Stich gelassen worden war und der sie zu allem Überfluss auch noch vor Gericht verleumdet hatte. Die junge Claire musste sich prostituieren und lernte auf diese Weise ihren ersten reichen Mann kennen.  Diesem folgten weitere Magnaten, Gelehrte und Nobelpreisträger. Claire selbst scheffelte im Laufe der Zeit Milliarden an und kaufte mit dem Geld u.a. nach und nach Güllen auf und vernichtete es wirtschaftlich. Doch um endlich zur Ruhe kommen zu können, will sie sich „Gerechtigkeit“ kaufen und sich gleichzeitig an den Güllenern und vor allem an Ill rächen. Sie lobt eine Milliarde für Güllen aus, wenn irgendein Bürger Ill tötet. Zunächst bleiben die so Herausgeforderten standhaft und nicht zuletzt der Priester, der Bürgermeister sowie der Lehrer berufen sich auf Moral, Humanismus und Werte wie Gerechtigkeit. Nach und nach erliegen sie aber alle der Versuchung des Geldes und verschulden sich haushoch in Erwartung der versprochenen Milliarde.

An Ill (Josia Plaggenmarsch) geht diese Entwicklung nicht vorbei und er wendet sich nach und nach an die Autoritäten des Städtchens. Dabei brilliert Josia Plaggenmarsch mit einem ausdrucksstarken Spiel getragen von einer überzeugenden Gestik und Mimik, die die Entwicklung von Ungläubigkeit über Furcht, Panik hin zur Resignation durchgehend überzeugend darstellt. Damit verkörpert Josia Plaggenmarsch hervorragend den Ill Dürrenmatts. Zu Recht wurde der junge Schauspieler von der Spielleiterin Christiane Hahn mit dieser zentralen Rolle des Stücks betraut.

Ills Suche nach Hilfe treibt ihn zunächst zum Polizisten (Felix Machold), zum Lehrer (Manuel von Beesten), zum Bürgermeister (Louis Soumah) und zum Schluss zum Pfarrer (Jannis Hindriks). Sogar dieser wimmelt Ill wie alle anderen auch mit Phrasen ab, während er selbst bereits dem Mammon erlegen ist. Schließlich gibt Ill auf, stellt sich einer Gemeindeversammlung und wird im Zuge derer von allen zusammen ermordet, indem sie ihn vollkommen stumm so bedrängen, dass er vermutlich einem Herzinfarkt erliegt.

Neben Josia Plaggenmarsch füllten auch Manuel von Beesten als gescheiterter Humanist und Jannis Hindriks als an seine eigenen christlichen Werten zugrunde gehender Priester ihre Rollen hervorragend aus. Während Manuel von Beesten eher mit kleinen Gesten und kontrollierter Mimik seinen Widerwillen gegenüber sich selbst zum Ausdruck bringt, schreit, gestikuliert und rennt Jannis Hindriks über die Bühnen, um nicht an seiner Verzweiflung zu ersticken. Für jede Menge Situationskomik sorgt unter anderem Felix Machold, wenn er als Polizist selbst als erster scheinbar zufällig seine Waffe auf Ill richtet. Und auch Louis Soumah weiß als ebenso von sich selbst überzeugter wie am Ende skrupelloser Bürgermeister das Publikum zu unterhalten. Als unheimlicher Schatten im Hintergrund des Spiels taucht Indra Reinink immer wieder als Menetekel mit immer demselben Satz auf: „Ich warte!“ Auch vor dem Vorhang verkörpert die Darstellerin überzeugend die kalte Gelassenheit einer Hyäne, die auf ihre Beute lauert, die sie unweigerlich bekommen wird.

Insgesamt haben die Schülerinnen und Schüler, die jede Szene eigenständig erarbeitet haben, ein ganz hervorragendes Stück auf die Bühne gebracht. Wobei gerade der konservativ-traditionelle Zug der Aufführung kein Nachteil, sondern im Gegenteil ein besonderer Vorzug gewesen ist.

Godula Süßmann, 19.06.23